Von Nervfaktor zur Schlüsselrolle: Wie Unterschiedlichkeit dein Team wirklich stark macht

Vielleicht kommt dir das bekannt vor:
Da gibt es Kolleg*innen, die dich regelmäßig auf die Palme bringen. Die Perfektionistin, die „schon wieder etwas gefunden hat“. Der Ideengeber, der dauernd neue Vorschläge bringt, obwohl ihr doch „einfach mal machen“ wollt. Der Ruhige, der in Meetings wenig sagt – und dann kurz vor Schluss mit einem kritischen Einwand kommt.
Oft werden genau diese Menschen heimlich als „Nervfaktor“ wahrgenommen. In meinen Teamcoachings zeigt sich jedoch immer wieder:
Genau hier verstecken sich häufig die Schlüsselrollen, die ein Team stark machen – wenn wir ihre Beiträge erkennen und wertschätzen.
Ein Modell, das dafür eine hilfreiche Landkarte bietet, sind die Teamrollen nach Belbin.

Was sind die Teamrollen nach Belbin?

Der britische Forscher Meredith Belbin hat untersucht, warum einige Teams erfolgreich sind – und andere trotz kluger Köpfe scheitern. Sein Ergebnis:
Nicht nur Fachwissen entscheidet, sondern welche Rolle jemand im Team einnimmt – also, welchen typischen Beitrag diese Person leistet.

Belbin beschreibt neun Teamrollen, die immer wieder in erfolgreichen Teams auftauchen. Wichtig ist dabei:

Es geht nicht um starre Schubladen.

Jeder Mensch kann mehrere Rollen einnehmen, manche liegen uns aber stärker als andere.

Ein Team muss nicht von jeder Rolle eine Person haben – aber eine gewisse Rollenvielfalt macht Teams robuster, kreativer und handlungsfähiger.

Die 9 Teamrollen nach Belbin – kurz und praxisnah

Hier ein kompakter Überblick mit Fokus auf den Mehrwert jeder Rolle – und darauf, wo es manchmal knirscht:

1. Erfinder/in (Ideengeber/in)
Kreativ, unkonventionell, sprüht vor neuen Konzepten.
Stärke: Bringt frischen Wind, findet Lösungen, wo andere feststecken.
Risiko: Verzettelt sich, verliert sich in Ideen, vergisst manchmal die Realität und die anderen mitzunehmen.

2. Wegbereiter/in (Weichensteller/in, Netzwerker/in)
Knüpft Kontakte, trägt Ideen nach außen, liebt Austausch.
Stärke: Öffnet Türen, bringt Informationen und Partner ins Spiel.
Risiko: Schnell begeistert, schnell weiter – manchmal wenig Durchhaltevermögen.

3. Koordinator/in (Moderator/in, Organisator/in auf Metaebene)
Behält das Ganze im Blick, bringt Menschen und Aufgaben zusammen.
Stärke: Sorgt für Klarheit, Rollenklärung und gemeinsame Ausrichtung.
Risiko: Kann als „Chefchen“ wahrgenommen werden, wenn andere sich übersteuert fühlen.

4. Macher/in (Umsetzer/in unter Druck)
Packt an, treibt voran, liebt Herausforderungen.
Stärke: Bringt PS auf die Straße, sorgt dafür, dass Dinge passieren.
Risiko: Tritt anderen auch mal auf die Füße, wirkt ungeduldig oder dominant.

5. Beobachter/in (Analytiker/in, „kühle“ Denker/in)
Sachlich, nüchtern, wägt Optionen ab.
Stärke: Entscheidungsstark durch Fakten, sieht Risiken und Nebenwirkungen.
Risiko: Wirkt distanziert, zögerlich oder „zu kritisch“.

6. Teamarbeiter/in (Beziehungsstifter/in)
Sorgt für das Miteinander, hört zu, vermittelt.
Stärke: Hält das Team zusammen, stärkt Vertrauen, glättet Wogen.
Risiko: Meidet Konfrontation, sagt vielleicht nicht, was wirklich nötig wäre.

7. Umsetzer/in (Organisator/in, Praktiker/in)
Macht aus Ideen konkrete Pläne, denkt in Prozessen.
Stärke: Strukturiert, zuverlässig, hält das Tagesgeschäft am Laufen.
Risiko: Skepsis gegenüber Neuem, kann starr oder wenig flexibel wirken.

8. Perfektionist/in (Qualitätshüter/in)
Akribisch, detailliert, sorgt für hohe Standards.
Stärke: Fehler werden gefunden, bevor sie teuer werden.
Risiko: Perfektionismus, Überlastung, Schwierigkeiten mit „gut genug“.

9. Spezialist/in (Expert/in)
Bringt tiefes Expertenwissen ein.
Stärke: Unverzichtbar bei komplexen Fragen, sorgt für Fachqualität.
Risiko: Fokus sehr eng auf dem eigenen Gebiet, manchmal wenig Blick für das Ganze.

Wenn Vielfalt fehlt – oder nicht gesehen wird
Spannend wird es dort, wo Teams einseitig besetzt sind:

Ein Team voller Macher/innen?
Entscheidungen schnell, Umsetzung stark – aber Reflexion und Beziehungsebene bleiben auf der Strecke.

Ein Team voller Erfinder/innen?
Wahnsinnig kreativ – doch ohne Umsetzer/innen und Perfektionist/innen landet vieles in der Schublade.

Ein Team mit starken Spezialist/innen, aber wenig Koordination?
Tolle Expertise – doch Kunden erleben Chaos an den Schnittstellen.

Und selbst wenn die Vielfalt vorhanden ist, wird sie oft nicht erkannt:
Der Perfektionist nervt mit seiner Pingeligkeit, anstatt als Qualitätssicherung gesehen zu werden.
Der Teamarbeiter wirkt „weich“, anstatt als emotionales Rückgrat des Teams verstanden zu werden.
Der Macher wird als „rücksichtslos“ abgestempelt, obwohl er in Krisen oft derjenige ist, der das Team durch die Brandung bringt.

Kurz gesagt:
Unterschiedlichkeit wird schnell als Störung erlebt – statt als Ressource.

Die Chance: Teamrollen bewusst machen und nutzen
Wenn Teams beginnen, sich ihre unterschiedlichen Rollen anzuschauen, passiert etwas Spannendes:
  • Plötzlich verstehen Menschen, warum sie in bestimmten Situationen immer wieder gleich reagieren.
  • Konflikte wirken weniger persönlich – und mehr als Ausdruck unterschiedlicher Rollen und Bedürfnisse.
  • Führungskräfte können Projekte gezielter besetzen: Wer bringt die Idee? Wer moderiert? Wer plant? Wer kontrolliert Qualität?
Praktische Schritte können sein:

Eine gemeinsame Reflexion: „Welche Beiträge bringe ich typischerweise ein? Wie sehen mich die anderen?“

Ein Team-Workshop mit einer strukturierten Analyse der Rollen im Team – zum Beispiel ergänzt durch den LINC Team-Check. Dieses Instrument macht die unterschiedlichen Persönlichkeiten, Motive und Kompetenzen im Team sichtbar und schafft so eine wertvolle Grundlage, um die Belbin-Rollen besser zu verstehen und bewusst einzusetzen.

Bewusste Entscheidungen: „Uns fehlen hier kreative Impulse / jemand, der Strukturen baut / jemand, der moderiert – wie können wir das ausgleichen?“

Wichtig ist dabei:
Es geht nicht darum, Menschen festzulegen. Es geht darum, Sichtbarkeit zu schaffen – für das, was schon da ist – und für das, was ein Team noch braucht.

Wie ich mit Teams arbeite: Belbin & LINC Team-Check in der Praxis
In meinen Workshops erlebe ich immer wieder:
Sobald Menschen sich selbst in solchen Beschreibungen wiedererkennen – als Ideengeberin, als Macher, als Teamarbeiterin, als Perfektionist – entsteht oft ein Moment von Erleichterung.
„Ach so, das ist also nicht einfach nur meine Macke – das ist mein Beitrag.“

Ich nutze in der Arbeit mit Teams deshalb gerne die Kombination aus:
Belbin-Teamrollen – um die typischen Beiträge im Team sichtbar zu machen und dem LINC Team-Check – um Persönlichkeit, Motive und Kompetenzen der einzelnen Teammitglieder zu verstehen.
Diese Kombination ermöglicht zum Beispiel:

Spiegelung auf zwei Ebenen:
Wie ticke ich als Person – und welche Rolle nehme ich im Team ein?

Konstruktive Konfliktklärung:
Viele Spannungen lassen sich entschärfen, wenn klar wird:
„Wir ticken unterschiedlich – und genau das kann unser Vorteil sein, wenn wir bewusst damit umgehen.“

Gezielte Teamentwicklung:
Teams erkennen, wo sie stark sind – und wo sie Lücken haben. Das hilft bei der Besetzung von Projekten, bei Einstellungen und bei der Entwicklung bestehender Mitarbeitender.


Im Workshop wechseln sich kurze Impulse mit Reflexion, Austausch in Kleingruppen und konkreten Praxisfällen ab – gerne auch mit Beispielen aus dem echten Teamalltag. Am Ende steht idealerweise ein gemeinsames Bild:
Wer bringt was ein? Was brauchen wir voneinander? Und wie wollen wir in Zukunft zusammenarbeiten?

Fazit: Starke Teams leben von Unterschiedlichkeit
Teams werden nicht stark, weil alle gleich sind.
Sie werden stark, wenn Unterschiedlichkeit:
  • gesehen wird,
  • benannt werden darf und
  • wertgeschätzt wird.
Die Teamrollen nach Belbin bieten dafür eine einfache, aber wirkungsvolle Landkarte.
Sie helfen, aus einem Haufen einzelner Talente ein Team zu machen, das sich ergänzt – statt sich gegenseitig auszubremsen.

Wenn du das Gefühl hast, dass in deinem Team noch mehr Potenzial steckt – und ihr eure Unterschiedlichkeit konstruktiver nutzen möchtet – dann lohnt sich ein genauerer Blick auf eure Teamrollen.
Gerne begleite ich euch dabei mit einem maßgeschneiderten Teamworkshop, in dem wir Belbin-Teamrollen und den LINC Team-Check so kombinieren, dass daraus echte, spürbare Veränderung im Alltag entsteht – und nicht nur ein hübsches Poster an der Wand.
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